Languages-Salat á la tête auf On-Arrival-Training

Für die Neuankömmlinge in der Ukraine und in Moldawien fand letzte Woche das On-Arrival-Training in Slavs'ke, einen kleinem Ort in den Karpaten, statt...

Mittwoch, Morgens um 4.
Mein elender Wecker klingelte und riss mich aus meinen abenteuerlichen Träumen. Es war eindeutig noch zu früh und außerdem viel zu kalt im Zimmer um aufzustehen. Also wie immer, liegen bleiben, nur noch für ein paar Minuten…


Irgendwann stand Lena, meine Mentorin, in der Tür und erinnerte mich daran, dass mein Zug nicht auf mich warten würde. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr begriff ich, dass aus den wenigen Minuten mehr als eine halbe Stunde geworden war. Also sprang ich aus dem Bett, wahnsinnig müde, aber auch gespannt und neugierig darauf, einen dieser ukrainischen Nachtzüge kennenzulernen. Und mehr noch darauf, am Nachmittag in Slavs‘ke anzukommen, einen kleinen Ort in den Karpaten, den im Winter zahlreiche Menschen zum Skifahren aufsuchen. Dort sollte ein Seminar, das On-Arrival-Training, für die Europäischen Freiwilligen stattfinden, die vor kurzen einen Freiwilligendienst in Moldawien oder in der Ukraine begonnen hatten.


In wenigen Minuten hatte ich meine übrigen Sachen in den Koffer gestopft und nebenbei meinen Kaffee hinunter geschüttet. Ich war bereits am Vortag zu Lena nach Khmelnitzkyj gereist. Sie bestellte uns ein Taxi und begleitete mich zum Bahnhof.

 

Mein Zug war bereits eingefahren – eine auf mich wahnsinnig lang wirkende Schlange aus geschätzt 20 hellblauen Waggons. Meinen Wagen hatten wir schnell gefunden. Lena sprach noch kurz mit der Schaffnerin, während ich hinein kletterte. Dann stand ich alleine in dem schmalen Gang, der an den einzelnen Schlafkabinen vorbei führte. Das erste Mal nach 6 Wochen Ukraine fühlte ich mich tatsächlich auf mich allein gestellt – in einem fremden Land mit nur wenigen Brocken Russisch im Gepäck.

Kurze Zeit später folgte mir die Schaffnerin und zeigte mir mein sogenanntes „Kupe“ – eine Kabine mit 4 Betten, auf jeder Seite jeweils eine schmale Liege unten und eine oben. Gott sei Dank gehörte mir eine untere Liege, die einzige noch unbelegte – so gerne ich in normalen Doppelbetten oben schlafe, ich kann mir nicht vorstellen, wie man sich auf diese obere Liege hochstemmen sollte. Zumindest als Mensch geringerer Größe mit ebenso gering ausgebildeten Oberarmmuskeln. ;)


Auf dem Bett fand ich eine Tüte mit Bettwäsche und Handtuch. Um die 3 anderen Mitfahrer nicht zu wecken, bezog ich es im Dunkeln. Zugeben, ich hatte keine Ahnung, wo oder ob es überhaupt einen Lichtschalter in der kleinen Kabine gab.


Schließlich kroch ich unter die dünne Decke und stellte dabei fest, dass die Liege tatsächlich ganz bequem war. Bequem genug, um 7 Stunden Fahrt auszuhalten.

 

Um die Mittagszeit näherte sich mein Zug Slavs’ke. Mit großen Augen beobachtete ich die grünen Gebirgszüge, die am Fenster vorbei wanderten. Direkt neben den Gleisen schlängelte sich eine Fluss entlang. Meine Erwartungen wurden absolut nicht enttäuscht - die Landschaft der Karpaten schien einem Bilderbuch entsprungen!


Angekommen am Bahnhof von Slavs’ke lernte ich Andrey kennen, einer unserer Seminarleiter, wie ich erfuhr. Mir wurde die Suche nach unserem Hotel unheimlich erleichtert!

 

Sowie ich vom Bahnsteig auf die Straße trat, glaubte ich, eine Baustelle vorzufinden. Natürlich hatte ich mich lange schon an die mit Schlaglöchern übersäten, ukrainischen Straßen gewöhnt. Aber ich war mir sicher gewesen in meinem kleinen Dorf bereits die höchste Steigerung von „schlimm“ kennen gelernt zu haben - Die „Straßen“ in den Karpaten lehrten mich eines Besseren. So sehr ich mich auch freute, hier in den Bergen die Sonne wieder zutreffen – es gibt angenehmere Erfahrungen, als bei diesen Temperaturen einen Koffer über Geröll zu ziehen.

Wir erreichten gerade noch pünktlich unser Hotel, das „Karpat Perlyna“. Es handelte sich um eine Anlage mit viel Grün, einem wundervollen Blick in die Berge und einem Swimming-Pool im Garten. Die meisten von uns waren in hübschen Suits mit Balkon untergebracht. Meine Wenigkeit stand auf der Teilnehmerliste ganz oben und war für Zimmer 1 eingetragen. Super, dachte ich. Und stellte fest, dass die 1 das schlechteste Zimmer im ganzen Hotel war – im Erdgeschoss am Haupteingang, natürlich ohne Balkon und ohne solche Spielerein wie Fön etc. Beschweren kann ich mich trotzdem nicht. Nicht nach einem Monat in einem Kinderheim, wo ich mir Toiletten (=Löcher im Boden) und „Dusche“ mit ca. 100 Anderen teile. Das Hotelzimmer teilte ich mir lediglich mit einer netten Deutschen. Abgesehen davon, dass das Wasser widerlich gestunken hat, war dieses Hotel für mich totaler Luxus. Zumal es 5 Mahlzeiten am Tag gab: Frühstück, Kaffeebreak, Mittag, Kaffeebreak und Abendbrot.

Wenige Minuten nach meiner Ankunft startete das Seminar offiziell mit dem Mittagessen, einem typisch ukrainischen Drei-Gänge-Menü aus Salat, Borschtsch und einer Hauptspeise. Toll fand ich den Bonuskaffee nach jeder Mahlzeit. Nur schade, dass die kleinen Tassen zur Hälfte mit Kaffeesatz gefüllt waren.

 

Das Seminar sollte 5 Tage dauern, von Mittwoch bis Sonntag.
Der theoretische Teil bestand aus Vorträgen, Diskussionsrunden und Workshops in erster Linie zu interkulturellen Themen. Manches war tatsächlich interessant. Allerdings wurde das Seminar auf Englisch gehalten. Deshalb empfand ich das Zuhören zeitweise sehr anstrengend, irgendwann geht einfach die Konzentration flöten.


Wir waren insgesamt 28 Teilnehmer, eine bunt gemischte Truppe. Darunter einige deutsche Kollegen, Franzosen, Portugiesen, Spanier, Engländer, Polen, Leute aus Estland, Schweden, Tschechien, Schottland und Litauen. Interessant, wie sich da nach einer Woche die unterschiedlichsten Sprachen im Kopf miteinander verknoteten. Ich musste feststellen, dass sich ein Teil meines kleinen Russisch-/Ukrainisch-Wortschatzes bereits so verfestigt hatte, dass ich sowohl im Gespräch mit Deutschen als auch auf Englisch automatisch mit „да“ oder „нет“ antwortete. Meine Französischkenntnisse schienen sich hingegen in Luft aufzulösen. Egal wie angestrengt ich nachdachte, für die einfachsten Begriffe wie auch die Zahlen schoss mir immer nur der russische Ausdruck durch den Kopf anstatt des Französischen. Dabei hatte ich diese Sprache mit so viel Begeisterung und Motivation in der Schule gelernt, wenn auch nur für 3 Jahre! Meine Versuche, mich mit den Franzosen in ihrer Muttersprache zu unterhalten, waren kläglich. Umso glücklicher war ich, als ich während eines Ausflugs in die Berge trotzdem erfolgreich vermitteln konnte. Wir trafen dort auf Einheimische, die Kaffee und Tee sowie traditionelle „Snacks“ verkauften. Dort spielte ich Russisch-Französisch-Dolmetscher für einen unserer Franzosen, der weder gut Englisch verstand geschweige denn Russisch konnte.

Wir hatten den Freitag für diesen Ausflug eingeplant. Wir wurden von einem Bus am Hotel abgeholt – eine dunkelgrüne Cabrio-Ausführung, die uns Begeisterungsrufe entlockete! Damit fuhren wir zu einer Liftstation. Von dort aus ging es in 25 Minuten Richtung Himmel. Leider ließ uns die Sonne an diesem Nachmittag ein wenig im Stich. Die Aussicht war trotzdem genial. Es gab dort oben 2 meiner geliebten Huftiere. Und Besitzer, die mit sich handeln ließen. So genoss ich einige, wundervolle Sekunden im Galopp durch diese tolle Landschaft!

Den offiziellen Teil des Seminars beendeten wir frühzeitig am Samstagabend mit einem Barbecue und Lagerfeuer. Manche wollten noch am selben Abend oder am frühen Morgen mit dem Zug starten. Am Sonntagmittag zählte ich mit 2 anderen Mädels und einem Engländer zu den letzten Übrigbleibenden. Da mein Zug erst 8 Uhr abends gehen sollte, nutzte ich die Zeit für einen langen Spaziergang durch das Dorf. Den Nachmittag lagen wir faul in den Liegestühlen am Swimmingpool und genossen die warmen Sonnenstrahlen.


Kurze Zeit nach einem letzten, köstlichen Abendbrot im Hotel verabschiedete ich mich von den Anderen und lief zum Bahnhof. Und dort ging es wieder auf die Reise. Diesmal hatte ich Glück, dass noch niemand in meinem Abteil schlief. So hatte ich Gelegenheit, den Standort der Lichtschalter ausfindig zu machen und ihre Funktion zu testen. Was eigentlich kein Problem war, einer befand sich direkt neben der Tür. Wir lasen eine Weile, dann verkroch sich jeder unter seiner Decke.

 

Gut geschlafen habe ich nicht, nur hin und wieder gedöst. Mir gingen viele Gedanken durch den Kopf. Konnte ich aus dem Seminar etwas in mein Projekt mitnehmen? War es die richtige Entscheidung gewesen, in dieses Kinderheim in die Ukraine zu gehen und mich nicht für ein normales Projekt zu bewerben? Ich hatte nun viele Vergleichsmöglichkeiten mit dem, was mir die anderen Freiwilligen von ihren Projekten erzählt hatten. Bei ihnen wirkte alles so organisiert. Sie schienen in Organisationen eingebunden, die Erfahrung im Einsatz von Freiwilligen haben. Sie wohtnen in großen Städten, meist in WGs mit anderen europäischen Freiwilligen. Ich dagegen verbrachte die meiste Zeit auf mich allein gestellt in diesem winzigen Dorf. Dazu kommt, dass in der letzten Zeit einige Dinge im Kinderheim nicht gut gelaufen sind.

 

Aber ok, nun bin ich hier. Ich habe schon lange begriffen, dass es keinen Sinn macht, sich über „hätte ich…“ oder „hätte ich nicht…“ den Kopf zu zerbrechen. Ich habe mir diese Herausforderung gesucht und werde mich ihr stellen. Und das Beste aus dieser Zeit machen. Außerdem ist da Lena, meine Mentorin. Ira und ihre Schwester. Und die vielen anderen lieben Menschen, die ich außerhalb von Golovchinsi kennen gelernt habe. Menschen, die zwar nicht in greifbarer Nähe sind, bei denen ich mich aber trotzdem darauf verlassen kann, dass sie mir den Rücken stärken.


Mit diesem Gedanken im Kopf lag ich in der Dunkelheit, lauschte auf das mehr oder weniger gleichmäßige Rattern der Räder und spürte das ständige Erschüttern des Zuges. Ich hätte mir meinen Wecker nicht auf halb 4 stellen müssen, ich war lange vorher wach. Leise nahm ich mir mein Gepäck und verließ meine Kabine. Ich blieb an einem Fenster im Gang stehen und beobachtete, wie wir in den beleuchteten Bahnhof von Khmelnitzkij einfuhren. Ich freute mich, zurück zu sein und einige Tage bei Lena zu verbringen, die bereits auf dem Bahnsteig auf mich wartete. Und ich freute mich auf die Kinder in Golovchinsi, die mich bei meiner Abreise zum Seminar nicht gehen lassen wollten und von denen mir manche bereits jetzt sehr ans Herz gewachsen sind.

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