Von Grautönen und Farbtupfen (Teil I: Altstadt)

Es ist Freitagmittag. Eingemummelt in meiner blauen Kuscheljacke und mit Schal sitze ich an meinem Schreibtisch, während draußen der Gesang des wöchentlichen Freitagsgebets durch die Straßen klingt. Ansonsten ist es fast ruhig auf den Straßen. So, dass man den kalten Wind durch die undichten Fenster pfeifen hört, wenn er gerade nicht bösartig an den Fensterläden rüttelt. Es ist kalt geworden in Kairo.

Pünktlich zu Beginn des Dezembers scheint der Winter hier loszugehen. Die letzten Wochen hat man zunächst nur am Abend gefroren, weil die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht plötzlich so ungewöhnlich groß waren. Man kann sich nicht vorstellen, wie kalt sich fünfzehn Grad anfühlen können, wenn es in der Sonne eben noch wie dreißig war. Seit einigen Tagen wird es auch am Tag kaum noch wärmer. Vor zwei Tagen hat es das erste Mal in den fast drei Monaten, die ich nun hier bin, geregnet. Allerdings nachts. Ich habe nur noch die dunklen Wolken über Kairo zu sehen bekommen. Und die nassen Straßen. Leider hat der Himmel seitdem bisher nicht wieder aufgeklart. Der trübe Schleier, der über Kairo hängt, lässt keinen Sonnenstrahl mehr durchbrechen. Wider Erwarten habe ich gerade während dieser Tage das erste Mal die Pyramiden vom Balkon aus sehen können. Oder vielkeicht eher von ihren schattige Konturen sprechen, die in der Ferne im Nebel sichtbar wurden.

Ansonsten hat sich hier seit meinem letzten Beitrag nur wenig geändert. Die meiste Zeit verbringe ich noch immer damit, die Sprache der Ägypter zu lernen. Und damit, täglich mit den hupenden Autos um die Vorherrschaft auf der Straße zu kämpfen, als hätte ich nie etwas anderes getan. Die Wege durch Kairo kosten unglaublich viel Zeit, Kraft und Geduld. So kann ich mich inzwischen nur noch selten motivieren, nachmittags nach meinen Unterricht noch irgendetwas zu unternehmen. Zumal ich die Zeit meistens brauche, um die Hausaufgaben für den nächsten Tag zu erledigen und die vielen neuen Vokabeln wenigstens einmal durchzugehen. Den Freitagabend widme ich dann dem Aufgabenstapel für unseren einzigen regulären Unitag. Während wir am Samstag tatsächlich von früh halb 9 bis abends um 7 in Seminaren sitzen, müssen wir während der restlichen Woche nur selten in die Uni. Worüber ich mich nicht beklagen will. Allein die Anfahrt zur Uni kostet mich eine anderthalbe Stunde.

 

Mit einem offiziellen Praktikum habe ich bisher nicht begonnen. Und so wie es aussieht, wird das auch nicht mehr vor meinen Prüfungen im Januar passieren. Stattdessen gebe ich hin und wieder Freunden und Bekannten eine Deutschstunde. Im Oktober habe ich zudem zusammen mit meiner deutschen Kommilitonin einen Anfängerkurs für Studenten unterrichtet. Es sind daher nicht viele neue Erfahrungen, die ich hier bisher in der Praxis sammeln konnte. Aber ausreichend viele, um mich jedes Mal mehr und mehr bestätigt zu fühlen, dass es genau das ist, was ich machen möchte. Dass ich genau da bin, wo ich sein soll, obwohl ich bis wenige Monate vor meinem Studentendasein noch nie von diesem Studiengang gehört hatte.

 

Mein Alltag hört sich bisher wahrscheinlich recht trist und grau an. Manchmal ist er das tatsächlich. Aber zwischen den Trott und den gewohnten Abläufen, die sich so schnell eingeschliffen haben, gibt es immer wieder bunte Farbtupfer, die den Alltag in diesem fremden Land trotz aller Grautöne zu etwas besonderen machen. Oft sind das weniger meine Ausflüge zu touristisch interessanten Plätzen in Kairo, sondern viel mehr die kleinen Momente im Alltag, die mich ganz neue Weise herausfordern, überraschen oder gar berühren.

 

Ich fand es sehr spannend, als ich im Oktober mein Visum verlängern lassen musste. Bei der Ankunft am Flughafen in Kairo bekommt man zunächst nur eine Aufenthaltsgenehmigung für vier Wochen. Gegen 25 Euro. Wer länger bleiben möchte, muss innerhalb dieser vier Wochen zur Mogamma, dem zentralen Verwaltungsgebäude Ägyptens am Tahrirplatz. Hier kann man als Student das Visum zunächst für weitere drei Monate verlängern*. Für den Gang zur Mogamma sollte man allerdings mind. zwei Tage einplanen. Am ersten Tag reicht man einen Antrag ein und bezahlt umgerechnet um die 2 bis 3 Euro für die Ausstellung der neuen Aufenthaltsgenehmigung. Bestenfalls am nächsten Tag kommt man wieder, um seinen Reisepass abzugeben und einige Stunden später das Dokument incl. Visum abzuholen. Bei der ganzen Aktion hatte ich Glück, dass ich beide Male von Leuten begleitet wurde, die dieses riesige, überfüllte Gebäude nicht das erste Mal besucht haben. Vermutlich hätte ich alleine noch die richtige Etage gefunden. Nie und nimmer aber die drei oder vier verschiedenen Schalter, die ich innerhalb der ganzen Prozedur abklappern musste. Ein nicht abreißender Strom von Menschen drängt sich scheinbar zu jeder Tageszeit in das Gebäude. Wenn man Glück hat, trägt einen dieser Menschenstrom in die richtige Etage. Aber spätestens da ist man verloren zwischen hunderten von drängelten Menschen und mind. genauso vielen Schaltern. Die Büros dahinter sind durch durchsichtige Wände abgetrennt. Man sieht eine endlose Landschaft aus Papierstapeln, aufgereiht auf den Schreibtischen, hinter denen hier und da ein Kopf hervorschaut. Es erscheint mir wie ein Wunder, als am zweiten Tag zwischen diesen Papierstapeln wieder mein Reisepass auftaucht.

 

Nachmittage, an denen ich nicht in der Mogamma festsitze oder mit meinen Hausaufgaben kämpfe und trotzdem noch etwas Energie habe, nutze ich, um mich mit Freunden aus der Uni zu treffen oder mit Leuten, die ich zumeist über Couchsurfing kennengelernt habe. Und dann? Was macht man dann in dieser rießigen chaotischen Stadt zusammen? Zuhause in Leipzig habe ich den Großteil meiner Freizeit draußen verbracht: Man konnte am Fluss entlang joggen, mit dem Rad an den See fahren, einfach nur im Park sitzen - der Grund, weshalb ich Leipzig so lieben gelernt habe. In Kairo gibt es diese Möglichkeiten nicht. Statt einem Park verläuft einige Meter vor meiner Haustür eine Hauptverkehrsader der Stadt. Ein fast ununterbrochenes Hupen schallt aus den schmaleren Straßen, die um unseren Block verlaufen. Und die Luft ist voll von Abgasen. Alles in allen nicht allzu einladend, um am Nachmittag eine Runde spazieren zu gehen. Und um Rad zu fahren, ist der Verkehr meist zu chaotisch. Was nicht heißt, dass die Ägypter es deshalb nicht tun würden. Es ist keine Seltenheit, alte und junge Männer, manchmal auch ältere Frauen, zu sehen, die sich auf einen alten Drahtesel, der diesen Namen wortwörtlich verdient, zwischen den Autos durch zwängen. Nur ist es für sie eben keine Freizeitbeschäftigung oder ein Sport. Es ist für sie ein Hilfsmittel, um ihren Alltag zu bewältigen. Was für mich manchmal wie eine wahre Kunst wirkt: Männer, die mehrere Zwölferpacks Wasser auf den Gepäckträger dabei haben, um diese vom Supermarkt zum Kunden zu bringen. Es ist hier Gang und Gäbe, seinen Einkaufszettel übers Telefon an den Supermarkt durchzugeben, damit man die Sachen von dort direkt nachhause gebracht bekommt. Und dann die Frauen, die eine große Schüssel mit frisch gebackenen Brot auf dem Kopf balancieren, während sie nebenbei noch das Fahrrad unter Kontrolle halten. Das ägyptische Brot, das von der Form her an Pita erinnert, wird dann direkt am Straßenrand verkauft. 10 Stück für 5 ägyptische Pfund, nach dem aktuellen Kurs keine 30 Cent. Man bekommt dieses Brot natürlich auch im Supermarkt, aber eben nicht frisch und bei weiten nicht so lecker.

 

Wenn also die frische Luft etwas knapp bemessen ist, kann man sich alternativ für eines der endlosen Cafes entscheiden, von denen es in manchen Teilen der Stadt nur so wimmelt. Die neunte Straße in Maadi ist bekannt für ihre vielen Cafes im Stil von Starbucks, in denen man nicht nur Americano, sondern zahlreiche Kaffeevariationen mit weißer Schokolade, mit Vanille-Geschmack und gar mit Eis und Schlagsahne bekommen kann. Meine persönliche Empfehlung: Beanos, wo ich bisher den weltbesten Schokokuchen gegessen habe. Zudem gibt es entlang der Corniche am Nil unzählige Cafes, oft mit Terasse und direkten Blick auf den Fluss. Es lohnt sich, es sich dort vor Sonnenuntergang bequem zu machen.

In Stadtteilen, die weniger vom Geschmack westlicher Ausländer beeinflusst sind, gibt es anstatt von Cappuccino und Kuchen Shisha und arabischen Kaffee. In den sogenannten Shishacafes trinkt man üblicherweise schwarzen Tee, während man seine Shisha raucht. Will man Kaffee trinken, hat man die Wahl zwischen einem heißen Getränk aus Nescafepulver - die Bezeichnung Kaffee verdient das Zeug meines Erachtens nicht - oder aber Kaffee auf türkische Weise gebraut. Das Kaffeepulver, das typischerweise mit Kardamom gewürzt ist, wird direkt ins Wasser gegeben und in einem kleinen Metallkännchen aufgekocht. Im Anschluss wird das Getränk incl. Kaffeepulver in eine kleine Tasse gegossen und serviert.

 

Soll es anstatt von Kaffee etwas Herzhaftes sein, gehe ich sehr gerne Koshari essen. Es gibt unendlich viele Plätze, die dieses günstige Gericht aus Reis, Nudeln, Kichererbsen und Linsen und dazu eine gut gewürzte Tomatensauce anbieten. Eine bekannte und beliebte Kette in Kairo, die wie die meisten Restaurants auch nachhause liefert, ist Tahrir. Mir persönlich schmeckt das Koshari aus dem kleinen, lokalen Geschäft nahe bei unserer Fakultät allerdings besser.

 

Das einfache Gericht hat in Ägypten Tradition. Es ist definitiv sehr sättigend und kostet abhängig von der Menge zwischen 5 bis 12 EGB.

Für einen gesunden Nachtisch schließlich lohnt sich ein Stop bei einem der Saftläden, die es überall in Kairo gibt. Neben frisch gepressten Saft gibt es hier oft auch kleine Desserts mit geschnittenen Früchten, Joghurt und Sahne oder ganz einfach Obstsalat. Das Angebot an Säften kann hier von zwei bis drei verschiedenen Sorten bis zu einer nicht enden wollenden Liste an den unterschiedlichsten Früchten reichen. Standard ist in jedem Fall Assier'Assab, Zuckerrohrsaft. Die Ägypter lieben Zucker. Und das nicht nur in ihren Tee. Wer also tatsächlich etwas Gesundes möchte, sollte darauf hinweisen, dass man den Saft gerne ohne zusätzlichen Zucker trinken möchte. Damit lässt sich zugleich sicherstellen, dass der Saft tatsächlich frisch gepresst wird, und nicht aus dem Gefrierschrank geholt wird. In manchen Geschäften gibt es dafür einen ganz normalen Mixer, in anderen hingegen wird das Obst mit undefinierbaren Geräten manuell gepresst. Wer einen empfindlichen Magen hat, sollte hier vorsichtig sein. Die Vorstellungen von Hygiene entsprechen nicht unbedingt den Maßstäben in Deutschland, und das nicht nur in den Saftläden.

 Hat man mehr als nur ein paar Stunden Zeit, lohnt sich ein Ausflug auf den Khan Khalili, Ägyptens berühmten Basar in der islamischen Altstadt von Kairo. Dieser Ort hat mich vom ersten Abend an, den ich dort mit einem Freund verbracht habe, begeistert und ist seitdem definitiv mein absoluter Lieblingsort in Kairo. Wenn man keine besondere Begeisterung für große Menschenmassen mitbringt, sollte man bestimmte Stoßzeiten natürlich vermeiden. An dem Montagabend, an dem ich das erste Mal dort war, waren die Straßen glücklicherweise sehr ruhig. An einem Freitag hingegen, als ich mit meinen Studienkollegen einen Tagesausflug zu einigen Sehenswürdigkeiten geplant habe, war der Basar so überfüllt, dass man kaum eine Chance hatte, an einem der Stände stehen zu bleiben, ohne von der Menschenmasse sofort weiter geschoben zu werden oder aber den Rest der Gruppe zeitgleich aus den Augen zu verlieren.

Seinen wirklichen Zauber enthüllt der Basar definitiv erst dann, wenn man nicht mit hunderten anderen Menschen um seine Daseinsberechtigung kämpfen muss. Dann, wenn der Lärm von den verkehrsreichen Straßen um das Basarenviertel nur noch gedämpft an die Ohren dringt und schließlich ganz verstummt, während man tiefer in das bunte Gewirr aus Gassen vordringt. Man hat das Gefühl in eine ganz andere Welt einzutauchen. Am Abend taucht ein warmes Licht die niedrigen, alten Gebäude, die sich so sehr von der Architektur der Wohnblöcke in Maadi und anderen Stadtteilen unterscheiden, in ein Meer aus bunten Farben. Eine Vielzahl von Gerüchen dringt einem in die Nase: Von den Gewürzläden, vor denen große Säcke mit Kräutern und nicht definierbaren pulvrigen Substanzen stehen. Von dem Karren am Straßenrand mit dem riesigen Suppentopf, aus dem ein Mann eine süßliche Brühe aus Weizen und einer Menge Zucker verkauft. Und aus den Cafes, in denen die Menschen ihren schwarzen Tee schlürfen und Shisha rauchen.

Es lohnt sich von den Hauptgassen aus, auf denen vor allem touristischer Kram verkauft wird, die kleineren Gassen zu erkunden. Der Basar ist dafür bekannt, dass hier noch viele traditionelle Handwerker ihren Sitz haben, die sich auch gerne in ihrer Werkstatt über die Schulter schauen lassen. Und er ist für seine vielen alten Moscheen bekannt, deren hunderte Minarette sich über die islamische Altstadt erheben. Eine dieser Moscheen, die al-Hakim-Moschee, besuche ich an diesem Abend mit Ahmed*. Wir setzen uns auf einen Teppich am Rande zu dem riesigen Innenhof und lauschen dem abendlichen Gebet in der Moschee. Ich bin fasziniert von der friedlichen Atmosphäre zwischen den alten Mauern. Schaut man aus dem offenen Innenhof nach oben, sieht man sogar ein paar Sterne schwach über Kairo funkeln.

Bei einigen der Moscheen ist es möglich, das Minarett hinaufzusteigen. Man hat von dort eine wunderbare Aussicht auf die Stadt. An dem Freitag, an dem ich zusammen mit meinen Studienkollegen unterwegs bin, besuchen wir die Ibn-Tulun-Moschee und das dort befindliche Gayer-Anderson-Museum. Das Minarett der Moschee ist 40m hoch und für jeden Besucher zugänglich. Man schaut von dort auf die islamische Altstadt bis hin zu der Gebirgskette von Muqqatam, zu deren Füßen sich die koptischen Müllsammler von Kairo angesiedelt haben. Sie fahren mit ihren Transportwagen durch die Stadt, sammeln die Müllsäcke von den Straßen und sortieren den Müll dann in ihren Häusern, um ihn dann bestenfalls zur Wiederverwertung zu verkaufen. Von dem Gewinn profitieren sie selbst jedoch nicht. Sie leben unter erbärmlichen Verhältnissen, viele ihrer Häuser sind nicht einmal an die Infrastruktur, die für Wasser und Elektrizität notwendig wäre, angeschlossen.

 Von der Moschee aus laufen wir Richtung Khan Khalili. Wir kreuzen Bab Zuweila, eines der noch erhaltenen drei Stadtore des mittelalterlichen Stadtkerns von Kairo. Hier beginnt das Basarenviertel. Die Bezeichnung Khan Khalili bezieht sich nur auf einen Teil des gesamten Gebiets.

 

Gegen einen kleinen Eintrittspreis kann man die Türme des Tores besteigen. Die Aussicht ist nicht weniger beeindruckend als von dem Minarett zuvor. Direkt vor dem Tor ersteckt sich eine Landschaft aus Häusern, die von oben wie Ruinen wirken. Die Dächer der alten Gebäude sind eingestürzt, meist kann nur noch die unterste Etage genutzt werden. Meine Freundin erklärt mir, dass man diese Gebäude natürlich gerne gegen neue Blockhäuser ersetzen würden. Die Familien, die die unteren Etagen seit Generationen schon gemietet haben, sind allerdings nicht bereit, ihre Geschäfte zu räumen. Denn die Mietkosten haben sich trotz Inflation für die seitdem bestehenden Verträge nie geändert.

Da ich sowohl Donnerstag als auch Freitag frei habe, versuche ich meist, zumindest an einen der beiden Tage einen größeren Ausflug zu planen. An einen solchen Tag habe ich mich mir inzwischen auch die Pyramiden von Giza angesehen. Weiter gehts hier: Von Grautönen und Farbtupfen (Teil II: Giza)

 

 

 

* Seit Frühjahr 2017  gelten neue Visa-Bestimmungen: Das Visum für drei Monate ist weggefallen, stattdessen muss man jetzt prinzipiell für ein halbes Jahr Visum beantragen und bezahlt dafür im Moment um die 30€.

 

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