Von Grautönen und Farbtupfen (Teil III: Wadi Degla)

Wenn man nicht einmal durch die ganze Stadt möchte, um die frische Luft an den Pyramiden zu genießen, gibt es eine wunderbare Alternative am Rande von Maadi: Wadi Degla. Als Wadi bezeichnet man einen ausgetrockneten Flusslauf. Ein kleines Stück Wüste mitten in der Stadt, umgeben von Gebirgsketten, die das Gebiet vom Lärm und dem Gestank aus der Stadt abschirmen.

Hier geht's zu Teil II: Giza.

 

Das Flusstal zieht sich über eine Entfernung von dreißig Kilometer hin. Es handelt sich um ein Naturschutzgebiet, was die Menschen allerdings nicht davon abhält, ihren Müll hier fallen zu lassen. Besonders Ausländer kommen gerne her, um zu joggen oder ihre Hunde auszuführen. Zudem ist das Gebiet ein Geheimtipp für Biker und für Leute, die gerne wandern und klettern gehen oder einfach nur ein Barbecue in der Natur machen wollen. Irgendwo soll es einen Campingplatz geben.

 

Ich nutze einen Freitag, um mit meinen beiden deutschen Kommilitoninnen einen ausgedehnten Spaziergang dort zu machen. Wir nehmen uns ein Taxi, um den offiziellen Eingang zu erreichen, der in einer abgelegenen Ecke der Stadt liegt. Ich tausche noch meine Nummer mit dem Fahrer aus, da sehr unwahrscheinlich ist, dass sich später noch einmal ein Taxi ausversehen hierher verirrt.

 

Am Eingangsbereich steht ein kleines Kassenhäusschen. Wir bezahlen fünf ägyptische Pfund, um das Gelände betreten zu dürfen. Ein Ägypter bezahlt drei.

Als wir dann durch das Eingangstor treten, öffnet sich ein weites Tal vor uns. Ein breiter Weg führt durch das Tal, das zu beiden Seiten von Gebirge umgeben ist.

 Wir bleiben nicht auf dem Hauptweg, sondern folgen einem kleinen Pfad, der die Hügel hinauf führt. Dann laufen wir einen Weg entlang, der parallel zum Hauptweg im Tal verläuft. In einem gemütlichen Tempo laufen wir immer tiefer in das Gebiet hinein. Ein paar wilde Hunde kreuzen unseren Weg, zeigen aber zum Glück kein großes Interesse an uns. Wir geniessen die Aussicht über das Tal und halten immer wieder an, um Fotos zu machen. Als ich mich umdrehe, sehe ich ein paar Hochhäuser, die hinter den Bergen aus dem Nebel schauen. Schnell wende ich mich wieder nach vorne. Ich stelle mir vor, weit weg von Kairo zu sein, irgendwo in der Wüste. Es fällt mir nicht sehr schwer, das hier zu glauben.

Als wir am späten Nachmittag nach Kairo zurückkehren, sind die Straßen fast leer. Es ist der 11. November. Im Internet hat man für diesen Tag zu Demonstrationen aufgerufen. Gegen die steigenden Preise. Gegen die wirtschaftliche Situation, die sich in einem Abwärtssog zu befinden scheint, der sich nicht stoppen lässt. Und gegen die Regierung, die man für diese Entwicklung verantwortlich macht. Die Regierung ihrerseits warnt davor, auf die Straße zu gehen. Es werden Gerüchte gestreut, dass Islamisten nur darauf warten würden, von den Dächern auf die Demonstranten zu schießen, um im Nachhinein das Militär und die Polizei dafür verantwortlich zu machen.

 

Eine Woche vor den geplanten Demonstrationen hebt die Regierung dann überraschend die Subventionierung ausländischer Währung auf. Der Wechselkurs verdoppelt sich über Nacht beinahe. Statt neun ägyptische Pfund bekommt man seitdem im Durchschnitt achtzehn Pfund für einen Euro. Für uns ist das natürlich ein Geschenk, ganz besonders für mich, da ich noch immer auf meine BAföG-Zahlung warte. Die wirtschaftliche Situation hier verschlechtert das allerdings noch mehr. Produkte, die aus dem Ausland importiert werden müssen, werden noch teurer oder verschwinden gänzlich aus den Regalen im Supermarkt. Gestern erst hörte ich einen Mann an der Kasse im Supermarkt fragen, ob es denn noch immer keinen Zucker gebe. Der Kassierer schüttelte nur den Kopf, ohne dabei aufzuschauen.

 

Warum trifft man eine solche Entscheidung wenige Tage, bevor die Menschen gegen eben diese Entwicklung auf die Straße gehen wollen?

 

Ein Bekannter meint zu mir, man wolle zeigen, dass man sich nicht von den Demonstrationsaufrufen einschüchtern ließe. Man habe sich für einen harten Kurs entschieden, um die Wirtschaft dieses Landes zu retten. Al-Sisi habe das damals angekündigt, für den Falle, dass man ihn wählen würde. Und die Entscheidung, die Subventionierung auf Kosten der Staatskasse aufzuheben, sei längst überfällig gewesen. Es sei die einzige richtige Entscheidung, um auf längere Sicht eine positive Entwicklung in der Wirtschaft zu bewirken. Und dafür müssten die Menschen zunächst ersteinmal in den sauren Apfel beißen. Nur würden die meisten Menschen das nicht begreifen. Es scheint so, als ob die Menschen nun erst recht in die Hände der Regierungsgegner getrieben würden, die zu den Demos aufgerufen haben. Vielleicht weil sich viele einen sauren Apfel nicht mehr leisten können.

 

Am Abend vor dem 11. scheint man mit allen zu rechnen. Der Tahrirplatz wird abgeriegelt, schon Tage vorher steigt die Präsenz von Sicherheitskräften auf den Straßen enorm an. Als es dann soweit ist, sieht es so aus, als seien sie die einzigen, die überhaupt auf der Straße sind. Scheinbar haben sich die meisten Menschen tatsächlich dafür entschieden, sich in ihren vier Wänden zu verstecken. Die Nachrichten berichten davon, dass es an einigen Orten kleinere Demonstrationen gegeben habe, die aber im Kern erstickt wurden seien.

 

Und schließlich geht das Leben weiter, wie bisher. Als wir am nächsten Tag in die Uni fahren, ist die Metro wieder voll wie eh und je.

 

***

 

Neben den vielen kleinen Ausflügen in und um Kairo bin ich während der letzten beiden Monate zweimal über das ganze "Wochenende" aus dem Chaos von Kairo geflohen. Beide Male führt mich meine Reise ins Nildelta, in ein kleines Dorf nahe Elsanta. Hier geht's weiter: Von Grautönen und Farbtupfen (Teil IV: El-Santa)

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